Die smarte Alternative zu agiler Führung
Manchmal sind es kleine Dinge, die einen auf etwas viel Größeres aufmerksam machen.
Eine Trainerin fragte mich kürzlich, ob sie oder ihr Co-Trainer den Lead in einem Training übernehmen sollte.
Sie war die externe Vertriebstrainerin, er ein interner Fachexperte.
Ihr schien die Sache klar: Da er der interne Vertreter war, sollte er auch den Lead haben.
Aber das kann man natürlich auch anders sehen: Immerhin war sie die externe Trainingsspezialistin, die ja genau dafür eingekauft worden war: dafür zu sorgen, dass das Training gut läuft.
„Können wir nicht beide im Lead sein?“ fragte sie.
„Schon, aber was, wenn es zu einer brenzligen Situation kommt? Braucht es dann nicht doch einen, der mehr im Lead ist?“
Diese kleine Diskussion findet so oder so ähnlich sicherlich in vielen Organisationen statt, die Hierarchie zu Gunsten von Agilität abgebaut haben.
Die agile Führung lässt weitgehend das Team entscheiden. Aber was, wenn dann wichtige Entscheidungen von niemanden getroffen werden?
Kehrt man dann einfach wieder zur autoritären Führung zurück? Zumindest temporär?
Oder hat die ganze agile Führung, ehe sie wirklich Fuß gefasst hat, schon wieder ausgedient?
In der Tat löst das Wort „agil“ mittlerweile bei vielen schon großen Widerwillen aus. Und der „agilen Führung“ wird sowieso mit sehr viel Skepsis begegnet. Wobei die Reaktionen irgendwo zwischen „Wie soll das funktionieren?“ und „Ist das überhaupt etwas Neues?“ liegen.
Diese Skepsis kommt mir berechtigt vor.
Gut, dass in den letzten Jahren noch ein anderes Konzept entstanden ist, das meiner Ansicht nach wesentlich mehr Aufmerksamkeit verdient hätte: Open Leadership.
Was ist Open Leadership?
Open Leadership baut auf der Überzeugung auf, dass in jedem Menschen Führungspotenzial steckt. Und dass jeder Mensch in bestimmten Situationen der geeignetste ist, um sich selbst und/oder andere zu führen.
Führung ist deshalb bei Open Leadership keine Stelle, sondern eine Funktion, die dynamisch verteilt wird. Dabei wird situativ Führungsbedarf geklärt und wie er am besten gedeckt werden kann – durch den Open Leader oder andere. Es ist daher maximal partizipativ. Entscheidungen können und sollen möglichst dort getroffen werden, wo am meisten Kompetenz dafür ist. Darin folgt sie dem Grundgedanken der Agilität.
Aber anders als bei agilen Organisationsformen wird Führung nicht einfach ans autonome Team abgegeben. Bei Open Leadership gibt es nach wie vor hierarchische Führungskräfte, bei denen auch die letztendliche Verantwortung bleibt, z.B. für ausreichende Motivation und Steuerung zu sorgen. Anstatt aber den kompletten Bedarf an Führung selbst decken zu wollen, bringt der Open Leader wo immer möglich andere, und insbesondere besser geeignete, ins Leadership.
Bei Open Leadership ist also immer klar, wer im Zweifelsfall entscheidet.
Aber es ist genauso klar, dass wer normalerweise entscheidet keine Frage der Hierarchie, sondern eine Frage der Kompetenz ist.
Open Leadership ist also eine Führung,
- die nicht hierarchisch zementiert ist, sondern offen
- in der nicht immer die Führungskraft führt, sondern wer am besten geeignet ist
- in der nicht nur jeder sich selbst führt, sondern andere, ebenso wie die Führungskraft sich auch von einem Mitarbeiter führen lässt
- in der der Mitarbeiter auch Entscheidungen für andere treffen können
- in der es aber auch Führungskräfte gibt, die sicherstellen, dass ausreichend geführt und entschieden wird
Was macht die Führungskraft als Open Leader?
- Sie prüft den Führungsbedarf und sorgt dafür, dass dieser gedeckt wird durch den am besten Geeigneten.
- Sie bringt Entscheidungen an die Stelle, an denen die dafür größte Kompetenz vorhanden ist, und lässt entscheiden.
- Nicht selten lässt der Open Leader sogar darüber andere entscheiden, was er selbst tun soll.
- Sie weiß dabei, dass sie die letztendliche Verantwortung behält und immer dahin selbst entscheidet, wenn niemand anderes es tut.
- Damit das funktioniert, ist der Open Leader auch dafür verantwortlich, Open Leadership in die Organisation zu tragen.
Zurück zu meinem kleinen Beispiel vom Beginn.
Was heißt das für die Frage, wer von zwei Trainern den Lead in einem Training haben soll?
Ich denke so: Einer sollte in die Rolle des Open Leaders schlüpfen und Sorge dafür tragen, dass möglichst stets derjenige im Lead ist, der für einen Part der geeignetere ist. Läuft alles glatt, fällt das gar nicht groß auf: Beide übernehmen gerne Teile und lassen sich gegenseitig viel Raum. Entsteht aber einmal eine Situation, in der ein Führungsvakuum entsteht, weil niemand den Lead bei sich sieht, übernimmt der Open Leader diese Verantwortung.
Das ist natürlich leichter gesagt als getan. Open Leadership ist keine Technik, die man einfach mal anwendet. Es bedarf einer echten Transformation, um eine Open Leadership Culture zu schaffen. Ich halte das aber für die smartere und nachhaltigere Veränderung, als lediglich auf Agilität in der Führung zu setzen.
Schreiben Sie mir, wenn Sie das auch so sehen. Und lassen Sie uns austauschen, wie wir mehr Open Leadership in Organisationen hineintragen können!