Das wichtigste Talent:
Die Fähigkeit zur Selbststeuerung

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Wahrscheinlich kennen Sie die berühmten Marshmallow-Experimente, die der Psychologe Walter Mischel Ende der 1960er Jahre durchführte: Er gab Kindern z.B. ein Marshmallow und sagte Ihnen „Wenn ihr das Marshmallow nicht esst, bis ich wiederkomme, bekommt ihr noch ein zweites.“ Während es einigen Kindern gelang, sich selbst zu kontrollieren, konnten andere nicht der Versuchung widerstehen, das Marshmallow gleich zu essen. Als er die gleichen Testpersonen Jahrzehnte später wieder befragte, zeigte sich: Diejenigen, die ihr Verlangen kontrollieren konnten, hatten im Schnitt ein höheres Bildungsniveau, mieden Drogen und hatte auch einen niedrigeren Body-Mass-Index. Die Fähigkeit zur Selbstkontrolle bei so etwas Simplem wie Essensverzicht ermöglichte statistisch signifikante Prognosen.*

Umso erstaunlicher ist, wie wenig Bedeutung bis heute der Selbststeuerungsfähigkeit in Einstellungsprozessen zugemessen wird. Kaum ein Assessment enthält Übungen, die gezielt Selbststeuerung oder Selbstkontrolle messen, ganz zu schweigen von Interviews. Eine Erklärung dafür könnte sein, dass in traditionellen Führungsmodellen die Fähigkeiten zur Selbststeuerung vermeintlich weniger wichtig war – es gab da ja immer noch die Führungskraft, die für eine notwendige Steuerung sorgen konnte.

In heutigen agilen Arbeitswelten wird jedoch aus gutem Grund die Selbststeuerung als wesentliche Voraussetzung für effektives Arbeiten propagiert. Was muss nun jemand mitbringen, der über diese Fähigkeit verfügt? Und wie könnten man sich dessen versichern in Einstellungsverfahren? Diesen Fragen wollen wir hier nachgehen.

 

Was ist eigentlich Selbststeuerung?

 

Selbststeuerung ist die Fähigkeit Motive zu priorisieren, Ziele zu entwerfen, Handlungspläne zu entwickeln und diese in kontrollierten Schritten umzusetzen, bis das Ziel erreicht ist oder aufgegeben werden muss.

Hieraus folgt eine zunächst überraschende Erkenntnis: Jeder Mensch verfügt grundsätzlich über die Fähigkeit zur Selbststeuerung. Schon das Kleinkind ist in der Lage, etwa Hunger zu erkennen, sich das Ziel zu setzen etwas zu Essen und Schritte zu unternehmen den Hunger zu stillen, sei es durch Schreien, Weinen, oder auch dem Gang zum Kühlschrank.

Was meinen wir dann, wenn wir sagen: Jemand ist selbstgesteuerter als jemand anderes?

 

Stellen wir uns zwei Berufsanfänger vor. Während der eine abends Management-Literatur liest, sieht der andere Unterhaltungssendungen. Beide habe Motive, die sie erfolgreich befriedigen. Vielleicht würde sich aber auch derjenige, der abends noch büffelt, lieber entspannen. Was ihn unterscheidet, ist, dass er bestimmte, kurzfristige Motive zurückstellen kann, um andere längerfristige zu erreichen. Auch unser zweiter Mitarbeiter verfügt aber möglicherweise über eine hohe Selbststeuerung: Er will vielleicht nur keine Management-Karriere machen.

Das heißt: Ob jemand eine ausgeprägte Fähigkeit zur Selbststeuerung hat, können wir nur beurteilen, wenn wir seine Ziele kennen und Beispiele, in denen er auf bestimmte, kurzfristige Dinge verzichtet hat, um längerfristige zu erreichen. Wer wirklich Karriere machen will, sollte gewillt sein, andere Dinge hintenanzustellen. Sein Wille sollte sich ausdrücken in seinen Handlungen.

Selbststeuerung heißt aber nicht nur Motive zu priorisieren. Wir können uns auch vorstellen, dass beide dem Ziel der Karriere alles unterordnen und Verzicht üben. Trotzdem gelingt es vielleicht dem einen, einen gangbaren Weg zu planen, während der andere planlos auf sein Ziel zuläuft. Und selbst wenn beide einen Plan haben, kann es immer noch sein, dass einer sich selbst genau kontrolliert während der Umsetzung, während der andere abarbeitet, ohne sich darum zu kümmern, ob denn Zwischenziele auch erreicht werden.

 

Wie kann man die Fähigkeit eines Mitarbeiters zur Selbststeuerung messen?

 

Es beginnt mit einer simplen Frage, die Sie sich selbst stellen können: Wie hoch schätze ich die Fähigkeit des Mitarbeiters zur Selbststeuerung ein? Allein diese Frage wird Ihnen ganz neue Erkenntnisse liefern.

 

Natürlich können Sie den Mitarbeiter befragen aber noch besser ist es ihm eine Aufgabe zu geben und zu beobachten:

  • Setzt er sich Ziele?
  • Plant er Wege? Und wenn ja, wie: genau, grob, agil, etc.?
  • Überprüft er sich selbst bei der Ausführung?
  • Traut er sich Korrekturen vorzunehmen, wartet er ab oder handelt er, wenn Probleme auftreten?

 

Schauen Sie weniger darauf, welches Ergebnis er erreicht, als wie er versucht das Ziel zu erreichen. Das sagt ihnen etwas über seine Selbststeuerungsfähigkeit.

 

Erhebung der Selbststeuerung in Einstellungsgesprächen

 

In Einstellungsgesprächen ist eine direkte Beobachtung schwierig. An ihre Stelle muss dann eine Befragung treten, die zeigt, wie sich jemand in der Vergangenheit gesteuert hat.

Beispiele für Fragen:

  • Schildern Sie Ziele, die Sie sich in der Vergangenheit gesetzt haben (berufliche wie private, aktuelle wie historische)
  • Wie kamen Sie zu Ihrer Entscheidung? (aus dem Bauch, nach Beratung mit Freunden, nach ausgiebiger Recherche, etc.)
  • Wie sind Sie vorgegangen diese zu erreichen?
  • Gab es Prioritäten, die Sie setzen mussten? Was haben Sie zurückstellen müssen?
  • In welchem Ausmaß haben Sie das Ziel erreicht? Was waren die Konsequenzen, die Sie daraus gezogen haben?

 

Am besten fangen Sie gleich beim nächsten Einstellungsgespräch an oder gehen der Frage nach, wie ausgeprägt die Fähigkeit Ihrer bestehenden Mitarbeiter zur Selbststeuerung ist.

 

Viel Spaß und bis zum nächsten Mal!

 

 

 

* Nicht verschweigen will ich, dass in den letzten Jahren vermehrt Kritik an den ursprünglichen Experimenten Walter Mischels bzw. deren Schlussfolgerungen aufkam. Es konnte z.B. nachgewiesen werden, dass das Bildungsniveau der Herkunftsfamilie eine große Rolle spielte in der Fähigkeit das Essen des Marshmallows hinauszuzögern. Noch entscheidender war, wie vertrauenswürdig die Kinder den Psychologen fanden. Kinder alleinerziehender Mütter etwa misstrauten der Zusicherung des männlichen Psychologen, ein weiteres Marshmallow zu erhalten, eher, als Kinder aus „intakten“ Familien. Ihr Verhalten war weniger Ausdruck fehlender Selbstkontrolle, als fehlenden Vertrauens. Einfache Schlüsse, was aus einer Person wird, nur weil sie ein Marshmallow sofort isst, verbitten sich aber ohnedies. Für unseren zentralen Punkt, der Selbststeuerung mehr Aufmerksamkeit zu widmen, sind diese Einschränkungen aber kaum relevant.