BLICK IN DIE VERGANGENHEIT

Biografisches Interview - Mit der richtigen Fragetechnik aus der Biografie eines Bewerbers künftige Erfolge und Misserfolge herauslesen.

Wer kennt diese Situation nicht: Man sitzt einem Bewerber gegenüber und will erfragen, ob er für die ausgeschriebene Position geeignet ist. Man schaut sich den Lebenslauf an, fragt nach den Bewerbungsmotiven, nach seinen Erfahrungen im betreffenden Aufgabengebiet, nach Referenzen. Am Ende des Gesprächs hat man viele Antworten und nicht selten trotzdem das Gefühl, nicht wirklich zu wissen, ob der Bewerber auf der Stelle auch die gewünschte Wirkung erzielen wird. So erstaunt nicht die Flut an Instrumenten, die heute am Markt sind, um die Eignung von Bewerbern zu testen. Eine Unzahl Headhunter, Personalberater, Anbieter von EDV-basierenden Persönlichkeitstests oder Assessment-Centern buhlen um die Gunst von Personalern.

Spezifische Motivation ist gefragt

Schauen wir uns die gängigen, diagnostischen Verfahren an: Um die Verhaltenskompetenz zu erfahren, gibt es Assessment Center, um Wissen und Erfahrung zu prüfen, gibt es Tests. Zur Diagnostik der Motivation jedoch haben wir nichts dergleichen. Die Motivation wird – wenn überhaupt – erfasst als Arbeitseinstellung, als Bereitschaft, sich hinzusetzen. Gefragt ist aber nicht eine allgemeine Motivation, sondern die ganz spezifische, das vorgegebene Ziel einer Stelle zu erreichen und den Weg dahin zu gehen. Wer den Mount Everest besteigen will, muss dafür eine besondere Motivation haben, und es würde ihm wenig nützen, ein bienenfleißiger Buchhalter zu sein. Ein Kandidat sagt vielleicht zu Recht, er fühle sich geeignet, die Stelle zu übernehmen, und traut sich die notwendigen Fähigkeiten zu. Aber er bedenkt nicht, dass er sich zu manchem, was er sich zutraut und wofür er auch die Kompetenz hat, nicht konstant motivieren kann. So treffen wir immer wieder auf Mitarbeiter, die zwar in der Lage sind, eine Rolle temporär auszufüllen, sich aber dazu nicht dauerhaft, tagtäglich motivieren können.

Biografie als Schlüssel zur Motivation

Da wir nicht in die Zukunft schauen können, ist der beste Weg, die Motivation eines Menschen zu erfassen, zurück in die Vergangenheit und in die Biografie des Bewerbers zu schauen – über das biografische Interview. Die Biografie gibt Aufschluss darüber, welche Aufgaben der Bewerber gesucht und angenommen hat, welchen er aus dem Weg gegangen ist und welche er abgebrochen hat. In der Biografie eines Menschen liegt die Information über seine Motivation. Die Biografie sagt uns nicht nur, welche Ziele ein Mensch sich gesetzt hat, sondern als Dokumentation der Ergebnisse seines Strebens gibt sie zugleich Aufschluss darüber, was ihm zu realisieren möglich ist und was Entwurf und Traum bleibt.

Verhaltensschemata identifizieren

Was aber bedeutet „biografisch interviewen"? Erfahren wir, wonach wir suchen, wenn wir einen Menschen seine Lebensgeschichte erzählen lassen? Wohl kaum. Wir würden dabei eine Menge Details erfahren, die uns aber doch nicht zur Information führen, die wir suchen. Erzählt jemand spontan seine Lebensgeschichte, stehen besondere Erlebnisse oder Vorkommnisse im Mittelpunkt. Diese interessieren uns jedoch nicht primär. Es sind die Fragen nach dem Alltag, die uns die gesuchten Informationen liefern. Es sind die unscheinbaren, sich täglich wiederholenden Abläufe, die zur Ausprägung von Verhaltensschemata führen. Sie bestimmen, wie ein Mensch mit Misserfolgen umgeht und wie er auf Anforderungen reagiert. Aus dem selben Grund ist es auch aufschlussreich, ob ein Mensch als Einzelkind oder mit Geschwistern aufgewachsen ist und wo er in der Geschwisterreihe war. So hat die Wissenschaft herausgefunden, dass sich unter den Führungspersönlichkeiten sehr viele Erstgeborene finden, während die Letztgeborenen eher unter den Einzelkämpfern zu finden sind – unter Originalen, Erfindern und Forschern. Als ältestes Kind hat jemand vielleicht früh gelernt, sich um andere zu kümmern, sie zu schützen, aber auch über andere zu bestimmen. Und jemand der als jüngeres Kind aufgewachsen ist, musste vielmehr lernen, sich der Vorherrschaft und Führung von Eltern und Geschwistern zu entziehen. Das ist nicht zwingend, und wir erfahren dies nicht einfach aus dem Umstand, dass er der Älteste oder der Jüngste war, sondern aus seiner Erzählung des Alltags.

Wiederholungen erkennen

Im Laufe eines Lebens ereignet sich unbeschreiblich viel. Was aber wirklich bedeutsam ist, das wiederholt sich. Die Wiederholung ist ein untrügliches Zeichen dafür, dass wir mit ihm auch in Zukunft rechnen können. Deshalb sucht der geübte Interpret nach Wiederholungen in einer Biografie. Hierin liegt aber die große Herausforderung für den Interviewer. Denn Ereignisse wiederholen sich nicht in identischer Form. Das biografische Interview ist zu verstehen als Rekonstruieren eines Mosaiks. Dabei nimmt die Kindheit einen größeren Raum ein, als spätere Abschnitte, weil das, was Menschen früh lernen, für den weiteren Lebensweg bestimmender ist. Es gilt also zu erfragen, was in der frühen Jugend an Anforderungen aus der sozialen Umwelt heraus zu bewältigen war, was dabei gelernt wurde und was sich in die Persönlichkeit eingeprägt hat.

Fakten statt Meinungen

In Einstellungsgesprächen wird sehr häufig nach Meinungen und Interpretationen gefragt, etwa nach dem Muster: Warum fühlen Sie sich für die Aufgabe gerüstet? Was macht eine gute Führungskraft aus? Das alles sind keine Fragen eines biografischen Interviews. Wer nach der Biografie fragt, interessiert sich für Fakten und Geschehnisse, nicht für Meinungen. Er lässt sich Ereignisse schildern, und findet dort, wonach er sucht: Die Handlungen, die ein bestimmtes Interesse und ein bestimmtes Engagement verraten. Ereignisse, die im Interview berichtet werden, sind natürlich gefärbt durch die Absicht des Erzählers, durch die selektive Erinnerungsfähigkeit und durch Gedächtnisfehler. Diese Fehler relativieren sich jedoch durch die Wiederholung von Ereignissen und bei alltäglichen Ereignissen spielt die Gefahr, dass diese tendenziös verzerrt werden oder dass Dinge erfunden werden, eine geringere Rolle. Auch spielt bei der Darstellung von solchen Ereignissen die verbale Geschicklichkeit des Kandidaten eine kleinere Rolle als bei der Darstellung von Meinungen. Es genügt dabei nicht, sich ein Ereignis grob schildern zu lassen. Der Interviewer muss in die Details gehen, er muss die Prozesse kennenlernen.

Informationen richtig bewerten

Wenn wir die Biografie kennen, so heißt das noch nicht, dass wir sie auch verstehen. Vieles an einer Biografie ist für die Eignungsdiagnostik nicht relevant. Nicht jedes Ereignis findet einen Niederschlag im Charakter eines Menschen. Es besteht immer die Gefahr, dass irrelevante Ereignisse gesammelt und daraus auf das Verhalten des Menschen geschlossen wird, und umgekehrt, dass relevante Ereignisse übersehen werden, weil sie unaufregend erscheinen. Die klassische Trennung von Informations-sammlung, Interpretation und Bewertung kann beim Interview daher nicht durchgehalten werden. In einem guten biografischen Interview lernt der Interviewte selbst neue Seiten an seiner Biografie kennen. Er beginnt, zwischen Ereignissen, zwischen denen er bislang keinen Zusammenhang erkennen konnte, Verbindungen zu sehen.

Ein biografisches Interview zu führen und die gewonnenen Informationen auszuwerten, erfordert deshalb eine Ausbildung und viel Erfahrung. Wer sich mit der Biografie von Menschen beschäftigt, muss sich seiner Verantwortung bewusst sein. Sonst besteht die Gefahr, dass Entscheidungen auf Fehlinterpretation und Halbwissen gegründet werden, oder das Vertrauen des Kandidaten missbraucht wird.

*Gekürzte Version des Artikels "Ein Blick in die Vergangenheit" veröffentlicht im Personalmagazin 09/06 von Professor Dr. Paul Innerhofer und Dr. Christian Innerhofer.

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