OKR: Wundermittel oder alter Wein in neuen Schläuchen?

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Eine kurze Einführung 

 

 

Wer sie nicht schon längst eingeführt hat, sieht sich heute fast schon einer Rechtfertigung ausgesetzt: Warum haben wir noch keine OKR?

Die Rede ist von Objectives and Key Results, dem eng mit dem Silicon Valley verknüpften Zielsystem. Wann immer es um Agilität und Disruption geht, fällt auch schnell dieser Begriff. Was hat es damit auf sich? Sollte das wirklich jeder einführen? Was ist zu gewinnen? Auf was ist dabei zu achten? Ein paar erste Fragen wollen wir hier beantworten.

Zunächst einmal für alle, die es ganz kurz wollen:

Objectives and Key Results ist ein Managementsystem, um Ziele zu setzen und diese über eine ganze Organisation abzustimmen (neudeutsch: zu alignen) und zu tracken.

 

Das klingt zunächst nicht bahnbrechend neu. OKR sind erst mal auch nicht mehr als eine Weiterentwicklung des klassischen Management by Objectives. Sie gehen auf Andy Grove zurück, der diese in den 1980er Jahren als CEO von Intel entwickelte und damit äußert erfolgreich sein Unternehmen steuerte. John Doerr verbreitete den Ansatz und trug ihn unter anderem auch zu Google, durch die die Methode ihre heutige Popularität erreichte.

 

Was verspricht OKR?

  • Eine Geisteshaltung groß zu denken und ambitionierte Ziele zu verfolgen („to shoot for the moon“).
  • Eine Fokussierung des gesamten Unternehmens auf einige wenige wichtige Kernthemen, um diese ambitionierten Ziele auch tatsächlich zu erreichen.
  • Eine rigorose Transparenz wer was beiträgt zu gemeinsamen Zielen und wo derjenige damit steht.
  • Eine Kultur des gemeinsamen Wollens anstelle einer Kultur des individuellen Müssens.

 

Unterschiede von OKR und MbO

Dies wird bei OKR erreicht durch einige charakteristische Unterschiede zu herkömmlichen MbO-verwandten Zielvereinbarungssystemen:

 

MbOs OKRs
„Was“ „Was“ und „Wie“
Jährlich Quartalsweise
Privat Öffentlich
Top-down Bottom-up und Sideways
An Entlohnung gekoppelt Entkoppelt von Entlohnung
Konservativ Ambitioniert

 

Das wirklich Neue von OKR

  • Während im klassischen MbO primär das Ziel vorgegeben und/oder vereinbart wird, wird bei OKR auch der Weg zum Ziel durch Subziele (Key Results) spezifiziert. Damit wird nicht nur klar, was erreicht werden soll, sondern auch auf welchem Weg. Indem dieser abgestimmt wird zwischen Manager und Mitarbeiter herrscht Einigkeit über Ziel und Weg.
  • Die quartalsweise Durchführung hat gegenüber den jährlichen den Vorteil, dass das System weniger statisch ist und agiler auf Veränderungen reagiert werden kann. Der Nachteil soll allerdings nicht verschwiegen werden: Es führt zu einem erheblichen Zeitaufwand, Ziele jedes Quartal über das ganze Unternehmen zu erstellen und abzustimmen. Wird dieser Prozess nicht strikt und diszipliniert durchgeführt, ist das System zum Scheitern verurteilt.
  • In den meisten heutigen Anwendungen von OKR werden die Quartals-OKR um zusätzliche Jahres-OKR erweitert, um nicht Gefahr zu laufen, in Aktionismus zu verfallen.
  • Die Entlohnung wird in MbO gerne an die Ziele gekoppelt, mit zwei typischen Konsequenzen: 1. Es liegt meist im Interesse aller Beteiligten (mit Ausnahme der Inhaber) Ziele eher konservativ zu setzen, um sie leichter zu erreichen und Bonus zu kassieren. 2. Ziele werden zum Selbstzweck. Selbst wenn sie schlecht gesetzt wurden oder nicht mehr passend sind, werden sie trotzdem verfolgt, um den Bonus zu kassieren. Damit stehen sie der Agilität entgegen. Anders bei OKR: Die Entkoppelung von der Entlohnung ermöglicht es, Ziele ambitionierter zu formulieren, da das bestrafende Korrektiv der Zielverfehlung wegfällt. Da dies nicht bei allen Zielen sinnvoll ist, unterscheidet man bei OKR zwischen commited OKR, also solchen die zu 100% erreicht werden müssen, und aspirational OKR, bei denen man von einer durchschnittlichen Zielerreichung von 70% ausgeht.
  • MbO-Ziele werden typischerweise von oben nach unten kaskadiert (also top-down). Der Manager leitet aus seinen Zielen dabei die Ziele für seine Untergebenen ab und gibt ihnen diese vor bzw. vereinbart sie mit ihnen. Auch bei OKR verläuft ein guter Teil des Prozesses top-down. Allerdings werden OKR nicht vorgegeben für die nächste Stufe, sondern der Mitarbeiter erarbeitet seine eigenen OKR als Beitrag zu den OKR der Einheit (Abteilung, Bereich, etc.). Insofern werden OKR auf jeder Stufe bottom-up erarbeitet und abgestimmt. Noch aus einem anderen Grund werden sie allerdings als bottom-up bezeichnet: Das Unternehmen kann auch zulassen, dass in einem gewissen Ausmaß (bis zu 50%) OKR auf unteren Ebenen generiert werden, ohne dass sie auf ein offensichtliches, höheres OKR einzahlen. Auf diese Weise kann ein OKR tatsächlich bottom-up nach oben wandern und OKR auf höherer Ebene nach sich ziehen. Das heißt auch: nicht jedes OKR hat notwendigerweise ein „parent“ oder „child“.
  • Besondere Bedeutung hat bei OKR zudem die sideways Abstimmung, also das alignment. Damit ist gemeint, dass OKR auch horizontal mit anderen Einheiten abgestimmt werden. Voraussetzung dafür ist einer der massivsten Unterschiede zwischen MbO und OKR: OKR sind öffentlich und zwar über alle Ebenen hinweg. Und an diese Stelle passt auch eine bedeutsame Warnung: Transparenz in den Zielen bedingt eine Kultur, die geprägt ist von Offenheit, Verantwortungsübergabe, einem positiven Umgang mit Fehlern und gelebtem Feedback. Mangelt es an dieser Kultur, kann man in Anlehnung an ein Sprichwort sagen: „Culture eats OKR for breakfast“. Widerspricht die Kultur dem Ansatz von OKR, verliert OKR. Dann haben sie ein bürokratisches System, das wertlose Ziele verwaltet.

 

Sind nun OKR also das Wundermittel für fokus-lose Organisationen? Oder doch nur alter Wein in neuen Schläuchen?

  • OKR sind das Wundermittel. Richtig eingeführt können Sie Ihre Organisation enorm pushen. Und Sie werden Ihrem alten System keine Träne nachweinen.
  • OKR können allerdings schnell auch nur alter Wein in neuen Schläuchen sein, wenn sie bei der Einführung nicht sehr sehr viel Geduld und Sorgfalt walten lassen. Eine Organisation braucht eine Kultur, in der OKR funktionieren kann. Hat sie diese nicht, sollte zuerst die Kultur verändert werden, ehe OKR eingeführt wird. Der Widerstand gegen OKR kann sonst immens ein.

 

Schreiben Sie mir gerne Ihre Anmerkungen und Fragen rund um OKR. Ich sehe es als großes Privileg Unternehmen und Führungskräfte dabei zu unterstützen, OKR erfolgreich zu etablieren. Denn am Ende profitieren wir alle davon, wenn es noch mehr Unternehmen schaffen, Großes zu leisten für die Menschheit als Gesamtes, mindestens aber für ihre Mitarbeiter und Kunden.

 

Ihr Christian Innerhofer

 

Weiterführende Literatur:

Grove, Andrew (1983). High Output Management. Random House.

Doerr, John (2018). Measure What Matters: How Google, Bono, and the Gates Foundation Rock the World with OKRs. Penguin Publishing Group.