Was bei der agilen Führung oft zu kurz kommt: Die eigentliche Führung. 

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Der Traum vom selbstgesteuerten Team

In vielen Diskussion rund um agile Führungskonzepte höre ich immer wieder, dass die „klassische Führung“ ausgedient hat. Propagiert wird das Team, das sich weitgehend selbst steuert und in dem jeder – je nach Situation – Steuerung übernehmen kann. Ich sage bewusst „Steuerung“, denn ich sehe das lediglich als einen Teil der Führung an. Unstrittig ist dabei, dass in einer hochspezialisierten, sich schnell verändernden Arbeitswelt die Führungskraft nicht mehr der allwissende Manager sein kann, sondern viel Steuerung an diejenigen abgibt, die Experte ihres Fachs sind. Oder um es mit Steve Jobs zu sagen: „It doesn’t make sense to hire smart people and tell them what to do“. 

Das hat die agile Führung gut erkannt und damit viel unseliges Micromanagement aus der Welt geschafft. 

 

Bedarf an fachlicher und disziplinarischer Führung

Dabei ist das eigentlich gar nichts Neues. In den meisten Unternehmen werden schon lange zwei Arten von Führung praktiziert: Die fachliche und die disziplinarische. 

Nichts anderes meint agile Führung, wenn sie propagiert, dass nicht immer nur die Führungskraft, sondern jeder führen kann und soll, je nach Anlass und notwendiger Expertise. Der selbstgesteuerte Experte ist die fachliche Führungskraft – niemand kann sie fachlich besser steuern als sie sich selbst. Und sie ist auch die geeignetste, um andere in ihrem Fachthema zu steuern. 

Warum uns das bei der agilen Führung dennoch so neu vorkommt, liegt wohl daran, dass diese an sich sinnvolle Aufteilung in fachliche und disziplinarische Führung in der Vergangenheit nicht sehr konsequent stattgefunden statt. 

Da wurde der beste Facharbeiter nicht nur zur fachlichen Führungskraft, sondern gleich auch mit zur disziplinarischen – ohne aber vielleicht dafür überhaupt geeignet oder qualifiziert zu sein. 

Umgekehrt wurden mitunter disziplinarische Führungskräfte rekrutiert (gerne von extern), die gleichzeitig fachlich führen sollten – ohne aber dafür die notwendige Expertise mitzubringen. 

 

Die Abschaffung der Führung

Dieses Dilemma scheint mir nun so gelöst zu werden, dass man die disziplinarische Führung in weiten Teilen ganz einfach abschafft. 

Jeder will nur noch fachlicher Leader sein oder gar komplett selbstgesteuert. Damit geht aber eine entscheidende Funktion verloren. Und das mit Folgen: 

Immer öfters werde ich als Berater in Situationen hinzugezogen, in denen ganz offensichtlich eines fehlt: Führung. Und auch wenn ich mich über Aufträge nie beschweren möchte, sehe ich doch ein wachsendes Vakuum entstehen, das die Unternehmen doch lieber selbst füllen sollten, als es an externe Berater zu delegieren. 

Es braucht sie noch: Die Führungskraft, die entscheidet, auch wenn es nicht alle gut finden, die dafür sorgt, dass auch ungeliebte Dinge gemacht werden, die Konflikte aufgreift und schlichtet, die sich um Mitarbeiter kümmert und Karrieren entwickelt, die eine Vision und Strategie durchsetzt. 

Und nur weil sie in der Vergangenheit nicht alles immer so perfekt gemacht hat, heißt dies noch lange nicht, dass sie deshalb komplett obsolet geworden wäre. 

 

Agile Führung darf und soll auch Führung sein

Indem die agile Führungskraft sich aus der fachlichen Führung weitgehend heraushält und sich eher als Unterstützer der Selbststeuerung von Individuen wie auch Teams definiert, aktiviert sie fachliche Steuerungsressourcen auf Mitarbeiterebene. Denn dafür braucht es schlicht keine Führungskraft, solange der Mitarbeiter nur über die notwendige Expertise und Verantwortung verfügt. Damit wird sie noch freier, sich um die Führung zu kümmern, die nur von außen kommen kann. 

Dafür braucht es dann auch wieder Menschen, die wirklich führen wollen und nicht nur fachlich. Die zukünftige Führungskraft ist dabei nicht mehr der „heroische Anführer“, sondern findet sich ein in ein System an gemeinschaftlicher Führung, das sich bewusst ist, so jemanden auch zu brauchen. 

 

Die Frage ist also nicht: Hat Führung ausgedient? 

Sondern: Welche Führung braucht es und wer kann diese am besten ausfüllen?